Montag
Die Reise unserer kleinen Bibliotheksgruppe begann in Prag am Busbahnhof Zličín. Von dort aus fuhren wir nach Pilsen, wo zwei weitere Kollegen zustiegen und wir uns in voller Besetzung auf den Weg nach Weiden machten. Das Glück war auf unserer Seite und wir kamen ohne Komplikationen im Hotel an, wo wir eincheckten und gleich in die Stadtbibliothek gingen.
Dort trafen wir endlich auf unsere deutschen Kollegen und kamen ins Gespräch. Zuerst haben wir unsere bisherigen Leistungen vorgestellt und unter die Lupe genommen. Dann ging es frei über zu den Veranstaltungen und Projekten, die vor uns liegen, wie Librarian in Residence 2024, BiblioCON 2024 oder die Konferenz in Olomouc und vieles mehr.
Nach einem sehr anstrengenden, aber erfolgreichen Treffen fuhren wir gemeinsam ins Hotel und zum Abendessen in ein nahegelegenes italienisches Restaurant.
Dienstag
Wir begannen den Morgen mit einem frühen Frühstück und kurz nach acht Uhr fuhren wir über die Grenze zur ersten Bibliothek in Ostrov nad Ohří.
Sie ist in einem ehemaligen Schloss aus dem 16. Jahrhundert untergebracht, wie wir von den Bibliotheksmitarbeitern vor Ort erfuhren. Früher befand sich die Bibliothek im Zentrum der Stadt und war somit für Besucher leichter zugänglich. Als der Umzug geplant wurde, mussten also zwei Probleme gleichzeitig gelöst werden. Nicht nur das gesamte Gebäude, das sich in einem schlechten Zustand befand, musste renoviert werden, sondern auch die Verbindung zu den Lesern musste wiederhergestellt werden. Dank des Engagements des gesamten Bibliothekspersonals, das aus etwa zwanzig Bibliothekaren besteht, und dank der zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, die sie organisiert haben, ist dies, wie ich behaupten möchte, mit Bravour gelungen.
Neben den allgemeinen Bibliotheksdiensten bietet die Bibliothek zahlreiche Workshops an, wie z.B. den Kurs “Grundlagen des Programmierens für Kinder”. Großes Interesse besteht auch an der Virtuellen Universität des Dritten Lebensalters, mit der sie bereits mehrmals an der Diplomverleihung in Prag teilgenommen hat. Sie organisieren auch Vernissagen und Körperübungen wie Yoga für die Öffentlichkeit.
Es gibt auch einen Spieleclub, in dem nicht nur Brettspiele aus dem umfangreichen Angebot der Bibliothek gespielt werden, sondern auch Dungeons & Dragons, bei dem die Teilnehmer mit einem 3D-Drucker (den die Bibliothek ebenfalls zur Verfügung stellt) Figuren herstellen oder Modelle von Schiffen und Burgen basteln.
Der Kinderbereich mit seinem leuchtend grünen Teppich lädt geradezu dazu ein, Socken zu tragen, was natürlich erlaubt ist. So können Kindergärten oder Schulen bequem im Kreis auf dem Boden sitzen, wo immer sie wollen. Ältere Kinder können dann das Angebot an Computerspielen und Virtual Reality nutzen und auf dem Dachboden den 3D-Druck ausprobieren.
Interessant ist, dass es in der Bibliothek keinen Lagerbestand gibt, d. h. alle Publikationen werden mit großer Sorgfalt ausgewählt, so dass es in der freien Auswahl immer etwas gibt, das den Blick auf sich zieht. Sehr gut gefallen hat mir auch die Selbstausleihe und die Bibliobox im Freien, die auch Reservierungen zulässt.
Das Tüpfelchen auf dem i ist dann der Schlossgarten, wo man das gefundene Buch gleich auf einer ausgeliehenen Decke verschlingen kann.
Nach einem schönen Vormittag in der Umgebung des Schlosses führten uns unsere Schritte zum Restaurant Kozlovna, wo wir unsere hungrigen Mägen stillten. Da wir noch etwas Zeit hatten, machten wir einen kurzen Abstecher auf den Berg Klínovec. Das Wetter war herrlich und die Kombination aus Sonnenschein und erstem Schnee tat uns allen gut.
Nächste Station war die Bibliothek in Jáchymov. Der kleine Kurort birgt einen Schatz, der seinesgleichen sucht. Jahrhundert gab es hier eine Lateinschule, deren alte Lehrbücher und Drucke wir in der dortigen Ausstellung sehen konnten. Besonders beeindruckt hat uns die Sammlung der so genannten libri catenati, Bücher, die im Mittelalter mit Bleiketten vor Diebstahl geschützt wurden. Die lokale Ausstellung der Kettenbücher umfasst etwa 50 Bände und ist damit die größte Sammlung in Mitteleuropa.
Natürlich besuchten wir auch die Stadtbibliothek, die von der Größe her nicht beeindruckend ist, aber es war offensichtlich, dass es ihr dank der Motivation der Bibliothekarinnen nicht an Besuchern mangelt und dass sie aktiv an den auch von ihr organisierten kulturellen Veranstaltungen teilnimmt.
Aus dieser bergigen Gegend fuhren wir wieder in die Ebene zur letzten Bibliothek in Karlsbad.
Dort empfing uns der Direktor am Eingang und führte uns persönlich durch das gesamte Gebäude. Wir erfuhren viele interessante Details, auch über die Probleme, mit denen die Bibliothek aufgrund der Coronavirus-Pandemie zu kämpfen hat. Sehr schön war die Behindertenabteilung, in der die Bibliothek Gebärdensprachkurse oder Workshops mit Blindenhunden anbietet. In der Comic- und Musikabteilung trifft sich der Häkelclub, der seine Produkte anschließend für wohltätige Zwecke verkauft. Schön war auch die Idee eines Gartens mit Samen, die die Besucher kostenlos mitnehmen und zu Hause einpflanzen können. Da dies auch die Musikabteilung ist, haben die Besucher die Möglichkeit, ein E-Piano mit Kopfhörern zu benutzen.
Interessant war für uns auch die Haptik-Ausstellung, der wir nicht widerstehen konnten und sie selbst ausprobiert haben. Im Hauptsaal, der in einen Lesesaal und einen Freihandbereich unterteilt ist, waren die Pflanzen eine angenehme Überraschung, die nicht nur auf dem Boden standen, sondern auch auf dem Geländer der Galerie wuchsen, in der sich der Lesesaal befindet.
Besonders erwähnenswert sind die umfangreiche balneologische Sammlung des ehemaligen Forschungsinstituts und die persönliche Sammlung von Vlasta Chramostova, die viele ihrer Manuskripte und Aufzeichnungen ihres Heimattheaters enthält. Die kulturelle und soziale Bedeutung der Bibliothek wird auch dadurch unterstrichen, dass sie zu Beginn des Krieges in der Ukraine acht Monate lang ein Zentrum für ukrainische Flüchtlinge war.
Am Ende der Führung stiegen wir müde in den Bus und fuhren zurück zum Hotel, wo wir den Tag in einem Restaurant mit gutbürgerlicher deutscher Küche ausklingen ließen.
Mittwoch
Gestärkt durch das Frühstück machten wir uns auf den Weg in die Stadtbücherei Weiden, um unsere Sitzung wieder zu eröffnen und die letzten Tagesordnungspunkte abzuarbeiten.
Wir begannen mit einem kurzen Feedback zum vergangenen Tag. Auf unsere Eindrücke und Kommentare werde ich weiter unten in einem extra Abschnitt eingehen.
Das nächste Thema war die Öffentlichkeitsarbeit, die für unsere deutsch-tschechische Zusammenarbeit sehr wichtig ist. Wir versuchten, neue Wege zu finden, um unser Projekt sichtbarer zu machen und das bestehende Projekt noch effektiver zu gestalten. Wir vereinbarten auch, uns weiterhin regelmäßig online zu treffen, um unsere Ideen weiter zu entwickeln.
Online-Seminare waren ebenfalls ein wichtiges Thema. Wir diskutierten grundlegende Fakten, Probleme und Anforderungen, beschlossen aber aus Zeitgründen, die weitere Diskussion zu diesem Thema auf unser nächstes Online-Meeting zu verschieben, wenn wir mehr darüber wissen.
Zum Abschluss des Treffens besuchten wir die Stadtbücherei Weiden, die zwar relativ klein ist, aber auf jeden Fall einen Besuch wert ist. Obwohl sie in einem alten Gebäude untergebracht ist, das früher als Gefängnis genutzt wurde, ist sie sehr geräumig und verbindet Geschichte mit modernen Elementen. Wir beendeten die Führung mit einem Mittagessen in einem lokalen Café im Erdgeschoss des Gebäudes. Da das Café nicht nur ein leckeres Mittagsmenü, sondern auch wunderbare Desserts anbot, hatten wir die Gelegenheit, unsere letzten gemeinsamen Momente mit einem süßen Geschmack auf der Zunge zu verbringen.
Danach trennte sich unsere Gruppe und wir wünschten uns alle eine gute Heimreise.
Was haben wir erlebt und was nehmen wir mit?
Da ich ja nicht allein auf dieser Reise war und wissen wollte, wie die anderen unser Treffen beurteilten, schlug ich vor, dass wir am Mittwoch eine kurze Pause einlegen sollten, um unsere Eindrücke auszutauschen. Zu meiner Überraschung nahm die Gruppe dieses Angebot sehr rege an. So wurde ich Zeuge eines wunderbaren Gesprächs, das mir einmal mehr bestätigte, wie wichtig es ist, sich persönlich zu treffen. Auf diese Weise konnten wir einige sehr inspirierende Bibliotheken besuchen, und durch die Zeit, die wir miteinander verbrachten, lernten wir uns besser kennen und stellten fest, dass unsere Werte in vielerlei Hinsicht miteinander verbunden sind.
Die größte Überraschung der Reise war für uns die historische lateinische Bibliothek, die sich in einem Dorf mitten in den Bergen befindet und von der wir nicht ahnten, dass sie einen so einzigartigen Diamanten birgt. Wir waren uns sogar einig, dass wir diesen Ort und die Ausstellung noch einmal besuchen wollten, sowohl mit unseren Kollegen als auch mit unseren Angehörigen. Der Eindruck des gesamten Ortes wurde dann noch durch das positive Engagement der örtlichen Bibliothekare für ihre kleine Bibliothek unterstrichen.
Die deutschen Bibliothekare waren auch sehr positiv überrascht, wie viel Personal in unseren Bibliotheken für die Besucher zur Verfügung stand und wie sie mit den Besuchern umgingen, denen sie immer aktiv zu helfen versuchten. Sie empfanden dies als sehr angenehm und würden dies gerne zu Hause in ihren Bibliotheken umsetzen.
Aus beruflichem und persönlichem Interesse würden wir auch gerne die Bibliothek in Ostrov nad Ohří besuchen. Eine meiner Kolleginnen erwähnte, dass sie bereits zum dritten Mal dort war und dass die Fortschritte, die sie in dieser Zeit gemacht haben, enorm sind. Sie ist also eine große Inspiration für uns alle und wir würden gerne mehr über ihre Arbeit mit den Nutzern und den Kindern erfahren, die unserer Meinung nach auf einem hohen Niveau ist. Ein Beweis dafür ist die Wassertränke, die selbst den kleinsten Besuchern zur Verfügung steht.
Das Einzige, was uns enttäuschte, war der Mangel an Zeit, die sich einfach nicht ausdehnen lässt, und obwohl wir gerne noch einmal die Stadtbibliothek Karlsbad besucht und das Zentrum besichtigt hätten, war dafür kein Platz mehr.
Ich denke, was wir alle von dieser Reise mitgenommen haben, ist, dass ein Besuch in fast jeder Bibliothek immer etwas Neues und Inspirierendes ist und uns auf Ideen bringt, auf die wir zu Hause am Schreibtisch nicht gekommen wären.
Abschließend kann ich nur noch hinzufügen, dass auf meine letzte Frage: “Würden Sie wiederkommen?” war die Antwort klar: “Natürlich”.