11. – 13. 11. 2024
In grenzüberschreitender Form knüpften wir an den Erfolg des letzten Jahres an, als sich das Konzept, die Arbeitsbesprechungen in einem Land abzuhalten und anschließend das andere Land beim Tagestour durch die Bibliotheken zu besuchen, bewährt hatte. Diesmal bot die Stadtbibliothek Chomutov den Rahmen für die Sitzungen. Sie erwies sich als ein gastfreundlicher Gastgeber, insbesondere durch die Unterstützung des Direktors Bedřich Fryč, während die Koordinatorin Veronika Chruščová den Ablauf fest in der Hand hatte. Die Verhandlungen fanden in Englisch und Deutsch statt.
Teilnehmer:
Ein Jahr ist seit der letzten Sitzung in Weiden vergangen. Der erste Tag bot Gelegenheit zur Bilanzierung und zum Austausch von Informationen über die Aktivitäten der einzelnen Bibliotheken, Organisationen und Teilnehmer in dieser Zeit. Teils in Präsentationen, teils in informellen Diskussionen tauschten wir uns darüber aus, wie die deutsch-tschechische Bibliothekszusammenarbeit heute aussieht. Jeder Teilnehmer kam zu Wort.
Für lebhafte Diskussionen sorgte zum Beispiel das Thema DBV Bibliotheken und Demokratie. Wie verändert sich die Rolle der Bibliotheken? Legen wir genug Wert auf die Arbeit mit Informationen? Können wir unsere Pläne umsetzen? Erkennen wir Fortschritte und gegenseitige Resonanz? Diese und weitere Fragen stellten wir uns und suchten gemeinsam nach Antworten.
Ein Überblick dazu findet sich insbesondere auf https://www.librarynextdoor.net/news/, wo über viele gemeinsame Aktionen, Besuche und Treffen berichtet wird. Beim 9. Bibliothekskongress, der im Juni 2025 in Bremen stattfindet, werden wir das Projekt Partnerland Tschechien 2022–2025 bilanzieren und einiges zu berichten haben. Die intensive Zusammenarbeit endet nicht mit diesem Jahr, sondern öffnet vielmehr Türen für weitere Kontakte.
Am zweiten Tag unseres Treffen widmete sich unsere Arbeitsgruppe einer Exkursion zu Bibliotheken in der sächsischen Grenzregion. Wir besuchten die Städte Annaberg-Buchholz, Zwickau und Chemnitz. Begleitet wurden wir von Kolleginnen aus Chomutov sowie dem Direktor der Bibliothek.
Durch die Bibliothek führte uns die Kollegin Sindy Hänel. Für die Übersetzung vom Deutschen ins Englische danken wir dem Kollegen Wolfgang Lambrecht. Wie alle Bibliotheken, die in historischen Gebäuden untergebracht sind, ist auch diese von den räumlichen Gegebenheiten eingeschränkt, was sie gleichzeitig einzigartig macht. Sie befindet sich in einem Haus aus dem 16. Jahrhundert, bekannt als „Zur Gülden Gans“. Die Bibliothek nutzt das gesamte Gebäude: vom kleinen Saal im Erdgeschoss über die Verleihräume in den oberen Etagen bis hin zur Kinder- und Jugendabteilung im sensibel und zweckmäßig renovierten Dachgeschoss. Den etwa 20.000 Einwohnern der Stadt bietet sie klassische Bibliotheksdienste und fungiert zugleich als Zentrum für zahlreiche kulturelle und bildungsorientierte Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene. Die angenehme Atmosphäre der Bibliothek lädt sowohl Einzelpersonen zu einem ruhigen Aufenthalt ein, auch Kindergruppen, die dort aktiv sein können. Eine Bibliothek, auf die Stadt Annaberg-Buchholz stolz sein kann.
Diese Bibliothek gehört zu den ältesten wissenschaftlichen Bibliotheken in Deutschland und ist eine bedeutende Institution zur Bewahrung historischer Texte. Das Gebäude, das sie sich mit dem Stadtarchiv teilt, haben wir nicht erkundet. Kollege Mahnke setzte uns in der bezaubernden historischen Studiersaal in einem Halbkreis zusammen. Seine Erläuterungen in deutscher Sprache wurden von Kollegin Jacqueline Banford ins Englische übersetzt. Mit Begeisterung und Freude präsentierte Kollege Mahnke uns Schätze aus den Regalen und öffnete einzigartige Bände. Wir sahen unter anderem die älteste Karte Sachsens, Manuskripte aus dem 9. Jahrhundert, ein historisches Kochbuch von Jahr 1562 und ein Mathematik-Lehrbuch aus dem 15. Jahrhundert. Besonders eindrucksvoll war der Enthusiasmus des Bibliothekars, dessen Leidenschaft für seinen Beruf und seine Bibliothek spürbar war.
Von der Ruhe und Stille des historischen Studiersaals ging es weiter ins geschäftige Treiben. Die Stadtbibliothek Chemnitz befindet sich in den Räumlichkeiten des ehemaligen Kaufhauses „Das TIETZ“, das auch das Naturkundemuseum, die Städtische Musikschule, die Volkshochschule, das Stadtarchiv und das Kulturamt beherbergt. Chemnitz wird 2025 zur Europäischen Kulturhauptstadt ernannt, und alle kulturelle Institutionen stehen vor großen Aufgaben. Kollegin Katrin Kropf führte uns durch die Bibliothek. Am späten Nachmittag war die Bibliothek voller Leben und Besucher – mein stärkster Eindruck davon. Ein funktionaler Gemeinschaftsraum mitten in einer Großstadt, der auf den ersten Blick zeigt, dass die Bibliothek ihre Rolle zu 110 % erfüllt. Ihre Partnerbibliothek ist die Bibliothek der Region Ústí nad Labem, und die Partnerschaft funktioniert aktiv und erfolgreich unter dem Motto „Partnerbibliotheken im Dialog“.
Am Ende eines ereignisreichen Tages besuchten wir die Universitätsbibliothek, wo uns Kollege Wolfgang Lambrecht begleitete. Die Bibliothek befindet sich im Gebäude der „Alten Aktienspinnerei“ mit reiche Historie. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude schwer beschädigt und verlor sein Dach und das oberste Geschoss. In der Folge wurde das Gebäude auch als Essenausgabe, Provisorium für das zerstörte Opernhaus, Wismut-Kaufhaus, Stadtbücherei, Bürohaus und Puppenbühne und zuletzt als Galerie genutzt. Der heutige Besucher nimmt davon nichts wahr. Seit dem 1. Oktober 2020 befindet sich die Universitätsbibliothek. Die bisher drei dezentralen Bibliotheksstandorte, deren Magazine und das Universitätsarchiv der TU Chemnitz wurden so an einem Ort in unmittelbarer Nähe des Hauptgebäudes der Universität konzentriert. Das Gebäude wurde für die Zwecke der Bibliothek umgebaut, um den Anforderungen einer modernen Institution gerecht zu werden. Wir waren beeindruckt von der technischen Ausstattung und den großzügigen Räumlichkeiten, die vielfältige Nutzungsmöglichkeiten bieten. Ein funktionaler Palast, der als Dokument seiner Zeit und Funktion zugleich gilt. Die Universitätsbibliothek ist ein wichtiger Bestandteil des TU-Chemnitz-Campus. Sie dient Studierenden und Forschenden als Ort des Lernens, der Forschung und kultureller Veranstaltungen. Unsere Eindrücke konnten wir bei einem abschließenden Treffen in einem der vielen lokalen Studienräume teilen – ein ruhiger Rückzugsort, den wir nach einem hektischen Tag sehr schätzten. Vielen Dank an die Bibliothek dafür!
Die Chomutauer Bibliothek haben wir im Detail am Ende unseres Treffens am Mittwoch, den 13.11.2024, besichtigt. Unser Gastgeber war während des gesamten Aufenthalts der bestens informierte Direktor Herr Bedřich Fryč. Bereits die ersten Eindrücke ließen die Weitläufigkeit der Räumlichkeiten erahnen, doch erst während der Führung wurde uns ihr tatsächlicher Umfang bewusst. Die Bibliothek ist Teil des Jesuitenkomplexes im Stadtzentrum, der neben den eigentlichen Ausleih- und Unterrichtsräumen auch die St.-Ignatius-Kirche, den Stadtturm sowie die Galerie Špejchar und Lurago umfasst. Das Café Atrium ist mit einem barocken Garten verbunden, der im Sommer für Veranstaltungen im Freien genutzt wird. Das Café bietet hervorragende Erfrischungen und hebt sich durch seinen sozialen Aspekt hervor, da es Arbeitsmöglichkeiten für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen schafft.
Einige Highlights aus dem Serviceangebot der Bibliothek:
Die Bibliothek als aktives Kulturzentrum
In der Galerie Špejchar finden Ausstellungen namhafter Künstler statt. Der Komplex wird für Konzerte und Gemeinschaftsveranstaltungen genutzt, wobei ein Teil der Räumlichkeiten für Vermietungen zur Verfügung steht. In der St.-Ignatius-Kirche erlebten wir einen besonderen Moment: Am ersten Adventssonntag war die feierliche Enthüllung der restaurierten Altarbilder geplant. Unsere Gruppe hatte die exklusive Gelegenheit, diese bereits vorab zu sehen.
Pläne und Zukunft
Die Bibliothek arbeitet an einem Projekt zur Nutzung des verfallenden Gebäudes der städtischen Bäder mit Schwimmbecken. Das Projekt ist von modernen Bibliotheken im Ausland inspiriert, und die Mitarbeiter sind aktiv daran beteiligt. Im Rahmen einer Bildungsreise besuchten zahlreiche Angestellte die Stadtbibliothek Oodi in Helsinki – eine absolut außergewöhnliche Erfahrung.
Mitarbeiterbetreuung
Im Jahr 2024 erhielt die Chomutauer Bibliothek die Auszeichnung „Bibliotheca inspirans“ der OSF-Stiftung, bei der die Jury bewertet, wie gut eine Organisation für ihre Mitarbeiter sorgt. Direktor Bedřich Fryč betonte: „Wenn das Team funktioniert, wird alles einfacher.“ Während unseres Besuchs stellte er uns die Unterstützungsmaßnahmen für die Mitarbeiter vor, und aus Gesprächen mit ihnen wurde deutlich, wie wirkungsvoll diese sind. In den Abteilungen herrschte eine angenehme Atmosphäre von Zusammenarbeit und Engagement, Freundlichkeit und Zufriedenheit waren spürbar.
Trotz aller fachlichen Informationen und Highlights bleibt für mich persönlich das Gefühl eines angenehmen Arbeitsplatzes das wichtigste Fazit.
Autor von Text und Fotos: Martina Kožíšek Ouřadová